„Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.“
Jean-Jacques Rousseau
Diese Geschichte über Zwang und Freiheit kam mir, als im Herbst 2020 eine weitere Welle an wirkungslosen Maßnahmen und unmenschlichen Lockdowns durch Europa rollte.
Es geschah einmal über Nacht, dass ein unerwartet heftiger Wintereinbruch mit viel Schnee und gefährlichem Glatteis über das Land zog. Die Menschen passten ihr Leben entsprechend an: Die meisten alten, gebrechlichen und kranken Menschen gingen naturgemäß nicht vor die Tür; auch Schwangere und Mütter mit Kleinkindern blieben vorsichtshalber zu Hause.
Alle anderen Kinder und Erwachsene folgten ihren üblichen beruflichen und familiären Verpflichtungen und ihren sportlichen und kulturellen Interessen – allerdings doch etwas vorsichtiger und langsamer als sonst.
Trotz der selbstverständlichen wetterbedingten Rücksichtnahme geschah an diesem Tag etwas Außergewöhnliches: Ein gewissenhafter Beamter, der auf Unfall-Krankheits-Statistiken spezialisiert war, beobachtete einen besorgniserregenden Anstieg an Arzt- und Krankenhausbesuchen. Beispielsweise ist eine Pensionistin beim Einkaufen gestürzt und hat sich das Bein gebrochen; ein Mann, der von einer Dachlawine getroffen wurde, hatte eine Gehirnerschütterung erlitten; ein Kind hat sich beim Schlittenfahren den Arm verstaucht; ein Jogger hat sich beim Laufen eine Lungenentzündung geholt, ein älterer Herr, der die Kälte unterschätzte hatte, musste wegen einem schweren grippalen Infekt ins Krankenhaus; das Auto einer Frau ist beim Glatteis außer Kontrolle geraten und verursachte einen Unfall mit einem Toten und zwei Schwerverletzten. Und auch sonst sind einige ungewöhnlich wetterbedingte Vorfälle an diesem Tag geschehen.
Da beschloss die Regierung rasch zu handeln, damit keine weiteren unnötigen Unfälle mehr passieren können: An Tagen mit weniger als minus 6,6 Grad Celsius und/oder bei Neuschnee von mehr als 33,3 Zentimeter wurden verletzungsreduzierende und lebensrettende Sicherheitsmaßnahmen eingeführt. Seitdem durfte unter solchen klimatischen Extrembedingungen kein Bürger mehr die Wohnung zwischen 4 Uhr nachmittags und 10 Uhr morgens verlassen, außer für nachweislich notwendige Besorgungen und systemerhaltende Berufe. Beim Betreten des öffentlichen Raumes im Freien war jeder per Gesetz verpflichtet, den ganzen Körper mit Stoff und Kleidung zu bedecken. Davon war lediglich der Augenbereich mit höchstens 39 cm² Aussparung ausgenommen, aber die Nasenspitze musste auf jeden Fall verdeckt bleiben. Dadurch war im Freien auch das Konsumieren von Speisen und Getränke und das Rauchen verboten. (Die einzige Ausnahme: Beruhigungsmittel und Antidepressiva dürfen jederzeit eingenommen werden.)
Außerdem musste man zwei Gehstöcke mit Sicherheitsriemen verwenden, Steigeisen mit mindestens 12 Zacken tragen und einen Helm, der der UIAA Norm 106 entspricht. Autos durften nur noch mit Schneeketten und höchstens 30 km/h fahren. Alle Kindergärten, Schulen, Universitäten, Kulturstätten und Freizeiteinrichtungen wurden geschlossen und das Spielen im Freien wurde verboten. Die Strafen gegen lebensgefärdende Gesetzesbrecher und egoistische Winter-Idioten waren zwar hoch, jedoch wurden sie vom Großteil der Bevölkerung nicht nur befürwortet. Als gewissenhafter Staatsbürger sah man es als eine selbstverständliche Pflicht, dass man die Ordnungshüter mit allen zur Verfügung stehenden Mittel bei ihrer wichtigen Demokratie-erhaltenden Arbeit unterstützte.
Alle Regierungs-Verantwortlichen und Krankenhaus-Manager waren mit dem extremen Rückgang der Unfallstatistiken äußerst zufrieden. Täglich berichteten Politiker, Experten und Journalisten selbstbewusst und mit sorgenvoller Miene, warum alle diese Maßnahmen so notwendig und wichtig waren. Außerdem wurde zuversichtlich verkündet, dass man mit allen finanziellen und technischen Mittel die Klimaerwärmung vorantreibt, damit die Menschheit künftig vor solchen katastrophalen Wetterverhältnissen verschont bleibt. Als Übergangslösung werden alle Gehwege mit Dächern versehen, die die Passanten vor dem gefährlichen Schneefall schützen sollten. Die meisten Menschen gewöhnten sich schon bald an diese einschränkenden Lebensbedingungen. Viele waren sogar happy, dass sie in ihren gemütlichen und sicheren Wohnungen solch kalte Wintertage vom Fenster aus oder auf ihren Bildschirmen bewundern konnten, ohne sich dabei der geringsten Gefahr und Unannehmlichkeit aussetzen zu müssen.
Eines Tages zog aber eine leise und unaufhaltsame Veränderung durch die herrliche Winterlandschaft: Alles begann damit, als ein einziges Kind den leidenschaftlichen Wunsch verspürte, einfach wie früher im Schnee herumzutoben: Ohne Rücksicht auf Verluste und koste es was es wolle!
Ich hoffe, dass künftig immer mehr Menschen wieder bewusst realisieren, was Zwang und Freiheit wirklich mit uns macht. Es liegt an jedem von uns, dass wir unnötige und unmenschliche Zwänge in Frage stellen und uns dagegen wehren und für die individuelle und gesellschaftliche Freiheiten einsetzen. Durch Covid hat jeder erfahren dürfen und müssen, wo seine wirklichen Prioritäten im Leben liegen.
Kategorie: Leben & Alltag
Begriffe: Freiheit, Gesellschaft, Gesetz, Gesundheit, Lockdown, Maßnahmen, Unmenschlichkeit, Winter, Zwang