„Mittlerweile herrscht die Meinung vor, dass jeder Mann in einer Machtposition entweder bereits korrupt und machtbesessen ist oder es bald sein wird. Doch die Griechen kannten und bewunderten eine positive männliche Energie, die auch Autorität akzeptierte. Sie sprachen von der Energie des Zeus, und sie verstanden darunter Intelligenz, robuste Gesundheit, mitfühlende Entschlos-senheit, Wohlwollen und großzügige Führung. Die Energie des Zeus ist männliche Autorität, die um der Gemeinschaft willen akzeptiert wird.“ 

Robert Bly (1926 – 2021)

Als ich im September ein Wochenende auf der Eisenau-Alm verbrachte, dabei in der Nacht stundenlang auf der Almwiese lag und in das beeindruckende Firmament schaute, musste ich nicht nur zufällig an „Lucy in the Sky with Diamonds“ denken. Sondern mir wurde auch zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit bewusst, dass alles, was sich da oben am Himmel bewegt und blinkt (außer natürlich die Sternschnuppen) in erster Linie dem Erfindungsgeist, der Umsetzungskraft und der Pionierleistung von Männern zu verdanken ist. Sogar die Almhütte, vor der ich liege, der plätschernde Brunnen, der Zaun, der mich vor dem Weidevieh schützt, die Möbel, der Herd und das Brennholz.

Auch den persönlichen Luxus, ein relativ entspanntes und wohlhabendes Leben zu führen und hier für ein paar Tage eine Auszeit genießen zu dürfen, hat mit einem materiellen Wohlstand zu tun, für den unter anderen mein Vater, meine Großväter, Urgroßväter und viele Männer verantwortlich sind. Mein Vater, mein erstes männliches Vorbild, hatte die archetypischen und gegensätzlichen Fähigkeiten eines berufenen Heilers (Arzt) und eines leidenschaftlichen Jägers vereint. Das heißt ich durfte von klein auf miterleben, dass er verantwortungsvoll heilen und zielgerichtet töten konnte, was mein männliches Selbstverständnis immens geprägt hat. Daher verstehe ich meinen spirituellen Weg und meine spirituelle Berufung darin, heilsame Qualitäten zu kultivieren und krankmachende Gewohnheiten zu „töten“.

Natürlich haben meine Mutter, all meine weiblichen Vorfahren, meine Frau und unzählige andere Frauen zu all dem Schönen und Wertvollen auch ihren wichtigen und unersetzbaren Beitrag geleistet (und zumindest wurde mir das Fischen, Bogenschießen, Baumhausbauen, Seifenkistenfahren, Indianerspielen und Lianenrauchen nicht untersagt!). Aber zum ersten Mal im Leben wurde mir so richtig bewusst, wie viel Männer eigentlich Wunderbares für mein Leben, auf diesem Planeten und in unserer modernen Gesellschaft geleistet haben… Und dafür bin ich von Herzen dankbar, mit einem inneren Lächeln und mit einem gewissen Stolz! Und ich werde ebenfalls versuchen, so respektvoll und würdevoll auf deren verletzten und dennoch kräftigen Schultern zu stehen …. und mein Bestes auf meine ganz persönliche Art zu geben, um diese männliche Kraft und dieses geniale Potenzial fortzusetzen.

Nachdem ich gerade gelesen habe, dass bei Naturvölkern es selbstverständlich ist, dass Buben im Alter von ca. 10 Jahren den Müttern „weggenommen“ werden, um von Männern initiiert und großgezogen zu werden, bin ich froh, dass mich meine Mutter schon in frühen Jahren in ein Klosterinternat und in eine Bubenschule gesteckt hatte, wo ich vorwiegend von Lehrern und Erziehern unterrichtet wurde.

Bis heute wirkt eine positiv seelische Prägung nach, dass ich einer der ganz wenigen westlichen Männer bin, die tatsächlich einen Jahrtausende alten männlichen Initiationsritus durchgemacht haben, als ich mit 22 Jahren in Thailand zum Mönch ordiniert wurde. Nachdem ich seit dem 10. Lebensjahr in erster Linie von Männern erzogen wurde und unter Männern verbracht habe, habe ich erst mit 34 Jahren beschlossen, in die „normale“ Welt zurückzukehren.

Vielleicht ist das der Grund, warum ich in der von Frauen dominierten Yoga- & Spiri-Szene und in meinem familiären und nachbarschaftlichen Umfeld, in dem ebenfalls die weiblichen Energien überwiegen, mein Mannsein auf selbstbewusste Weise beibehalten kann. Und warum ich seit bald 20 Jahren eine Beziehung führe, die auf allen Ebenen zutiefst erfüllend ist.
Diese 24 Jahre meines Lebens, die in erster Linie von männlicher Kameradschaft, Führung & „Universität“ geprägt waren, waren naturgemäß nicht immer ein Honiglecken …. aber sie haben sich offensichtlich und spürbar ausgezahlt.

Wer mehr wissen will, wovon ich hier schreibe, dem empfehle ich das geniale Buch „Eisenhans“ von Robert Bly zu lesen …. Und das am besten auf der Eisenau-Alm zu einer Jahreszeit, wo in der Nacht die brunftigen Hirsche gewaltig röhren! Denn es gibt in unserer Gegend wohl kaum einen anderen Laut, der auf diese Art die ungezwungene, natürliche, männliche Potenz ausdrückt. Und genau um diese ursprünglich wilde – aber nicht barbarische – männliche Natur geht es in diesem Buch! Und davon brauchen wir nicht weniger, sondern mehr, wenn wir in unserer Gesellschaft wieder zunehmend Lebenssinn, Authentizität und Tiefe erfahren wollen.

In „Eisenhans“ werden unter anderen die Ursachen erläutert, warum viele gezähmte und zivilisierte Männer in unserer künstlichen Konsumgesellschaft unter Passivität, Naivität und Taubheit leiden … was sich ja auch in der COVID-Zeit ungeschminkt gezeigt hat. So ein Desaster kann eben nur passieren, weil wir Männer unsere erhabene „Zeus-Energie“ nicht umsetzen:
Intelligenz, robuste Gesundheit, mitfühlende Zielstrebigkeit, Wohlwollen und großzügige Führung.
Und unsere potentiellen Vatergeschenke nicht leben: Kraft, Scharfsinn, Wunsch nach Durchdringung, Lebendigkeit, Impulsivität und Wagemut.

Dass ein Werk, welches 1990 geschrieben wurde, heute aktueller als vor 35 Jahren erscheint, ist eine prognostische Meisterleistung!

Das gegenwärtige Dilemma des Mannes wird in >> diesem aktuellen Artikel auf den Punkt gebracht.

PS: Eine Art, wie ich versuche, die heilsame Kraft des Mannseins zu stärken, ist durch das Initiieren von MÄNNER-Gruppen, –Workshops & –Retreats.

(Sicherlich wird es einige Mitmenschen geben, die meine hier geäußerten persönlichen Gedanken völlig missbilligen oder missverstehen … C’est la vie 🤗!)