„Statt Erfolg oder Nichterfolg wird mit Hilfe der Gunas eine Richtung angestrebt, welche die sattvische Komponente unseres Denkens und Handelns stärkt.“
Alexander Kobs
Der Sanskrit-Begriff ‚Guna‘ heißt eigentlich Faden; er hat aber auch die Bedeutung von Eigenschaften und Qualitäten, die durch Urmaterie (Prakriti) oder Illusion (Maya) bedingt sind. Die damit gemeinten drei Kräfte von Tamas, Rajas und Sattva wirken in unterschiedlicher Art in der Natur, aber auch in jedem von uns – sowohl auf physischer und mentaler Ebene, von der Geburt bis zum Tod und darüber hinaus. Die Zunahme einer Qualität geht dabei immer auf Kosten der zwei anderen.
Unterschiedliche Ansätze
Im Ayurveda werden die Trigunas als gleichwertige Kräfte gesehen: „Das Guna der Stille, Tamas, lädt das Universum und die Geschöpfe darin wieder auf. Es ist das Hauptprinzip der Unterstützung im materiellen Universum. Das Prinzip der selbstorganisierenden Aktivität, Rajas, erzeugt Bewegung und Koordination im Universum und im menschlichen Dasein. Das Prinzip des Klangs und der kosmischen Intelligenz, Sattva, erhält die universelle und individuelle Nicht-Aktivität und Aufmerksamkeit.“ (Guna im Ayurveda)
In indischen Weisheitstexten wie der Bhagavad-Gita werden die Gunas ethisch unterschiedlich gewichtet und als Orientierung für das Leben und für die spirituelle Entfaltung verstanden. Aber so wie ein Stadtplan nicht die Stadt ist, jede Karte etwas anders aussieht und verschieden interpretiert wird, sind auch die Gunas nur ein Hilfsmittel in Richtung Wahrheit und Glück.
Tamas: Das Prinzip der Unwissenheit
„Tamas ist geboren aus Unwissenheit, es verwirrt alle Wesen. Schnell wird es zur Fessel, denn es macht dich achtlos, träge, müde.“ Bhagavad-Gita 14,8 („Die Bhagavad Gita: Das Weisheitsbuch fürs 21. Jahrhundert“ – Ralph Skuban, dtv Verlagsgesellschaft, 2013)
Müdigkeit ist eine natürliche Folge von Aktivität. Der Mensch gerät dann in ein tamasisches Ungleichgewicht, wenn chronische Erschöpfung und Lebens-Müdigkeit überhand nehmen und sich bis zur Depression oder Demenz steigern können.
Dämonische Kraft
Eine tamasische Umgebung und Lebensweise kann aber auch bewirken, dass sich unsere animalischen und dämonischen Schatten zeigen und wir aus Dummheit, Masochismus und Sadismus handeln. So wie bestimmte Individuen, Familien oder auch ganze Nationen vom rajasischen Rastlosigkeit und Perfektionismus getrieben sind (wie z.B. wir in Mitteleuropa), so sind andere von Tamas geprägt, sei es durch Schmutz, Schlampigkeit, Wahnsinn oder Unmenschlichkeit (wie z.B. menschenverachtende Diktaturen).
Rajas: Das Prinzip von Leidenschaft
„Rajas‘ Natur ist die Leidenschaft, die Quelle von Habenwollen und Anhaftung. Schnell wird es zur Fessel, denn ohne Unterlass treibt es dich an.“ Bhagavad-Gita 14,7
Wir leben in einer Zeit, in der Begehren und Aktivitäten zunehmend unser Leben und unseren Geist beherrschen. Der Homo Sapiens ist vom Veränderungsdrang und Optimierungswahn besessen. Er hat es mit seiner Intelligenz sogar geschafft, diesen Planeten so aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass Zukunft und Überleben für ihn und für alle anderen Lebewesen ungewiss sind.
Die krankmachende Rastlosigkeit
Was wir in unserer Umwelt an krankmachender Rastlosigkeit, ständigem Lärm und folgenschwerer Verschmutzung beobachten, spiegelt unseren Geist wider. Vom Aufwachen bis zum Einschlafen und sogar in unseren Träumen wird unser Gedankenkarussell von zahlreichen Begierden und Widerständen am Laufen gehalten. Auch wenn uns noch nie so viele zeitsparende Hilfsmittel zur Verfügung standen, leiden wir mehr denn je unter dem ‚Time Compression Syndrom‘ (Siehe „Urban Monk“ – Pedram Shojai, Ullstein Buchverlag, 2017). Zusätzlich hält uns das World Wide Web gefangen, wie eine Fliege im Spinnennetz und der suchtartige Gebrauch von Social Media verstärkt den Selbstdarstellungs-Zwang und FOMO (Fear Of Missing Out). Mit Zuckerbrot und Peitsche werden wir von unseren Bedürfnissen und Ängsten durch das Leben getrieben; solange, bis unbegründete Nervosität und unkontrollierbarer Stress zum Normalzustand geworden sind.
Psychosomatische Notbremse
Zum Glück (für uns) oder zum Unglück (für unser Ego) wird früher oder später der Körper und/oder der Geist die Notbremse ziehen, indem ein Burnout, eine Verletzung oder eine psychosomatische Krankheit das unausgeglichene System kollabieren lässt. Erst dann realisieren wir, wie sehr wir durch Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten Raubbau auf eigene Kosten betrieben haben, unsere Batterie leer gefahren haben und unsere Psyche ausgebrannt ist … Welcome to the dark side of Tamas!
Sattva: Das Prinzip der Klarheit
„Sattva ist strahlend und heilsam. Und dennoch bindet es, weil es dich haften lässt an Glück und Erkenntnis.“
Bhagavad-Gita 14,6
Jede Religion und jede spirituelle Tradition weisen darauf hin, dass weder der Zustand von Rajas noch Tamas letztendlich zufriedenstellend ist. Aber es gibt eine erhabene Wachheit jenseits von Unruhe, die von einer ruhigen Zufriedenheit getragen wird und zugleich unberührt von Trägheit ist. Sattva gilt als Grundlage für jede spirituelle Praxis und nur in diesem Zustand ist es möglich, unser wahres Wesen (Sat) zu erfahren.
Gelassenheit und Weisheit
Sattva ist nicht nur von Klarheit durchdrungen, sondern auch von liebender Güte uns und unserer Umwelt gegenüber. Wir werden nicht nur feinfühlig und gelassen in Bezug auf Unzulänglichkeiten (in Form von Tamas und Rajas), sondern auch fähig durch unsere Fehler zu wachsen … ganz nach dem Motto:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Begriffe: Aktivität, Balance, Entspannung