„Sapiens omnia sua secum portat“
(Der Weise trägt all das seine mit sich)

Bias von Priene (590 – 530 v. Chr.)

Das Wort Pilger stammt vom lateinischen „Pelegrinus“ ab und darunter wird eine Person verstanden, die aus Glaubensgründen in die Fremde zieht, zumeist eine Wallfahrt zu einem Wallfahrtsort unternimmt, sei es zu Fuß oder unter Verwendung eines Transportmittels. Im Gegensatz zu einem Wallfahrer, bei dem das Ziel im Vordergrund steht, rückt allerdings in meinem Leben zunehmend eine andere Lebensphilosophie in den Vordergrund, die lautet:

Der Weg ist das Ziel

Darunter verstehe ich den essenziellen Shift von einer zielorientierten, fixierten Lebenshaltung zu einer prozessorientierten, offenen Lebensweise. Dabei orientiere ich mich zwar an bestimmte Prinzipien wie Ahimsa (Gewaltlosigkeit) oder Satya (Wahrhaftigkeit), aber nichts ist in Stein gemeißelt und meine Ausrichtung passt sich immer wieder den inneren und äußeren Gegebenheiten an.

Quo Vadis?

Wohin meine Lebensreise nach der Schule gehen sollte, wusste ich damals nicht wirklich, aber ich wusste zumindest, dass ich keinen konventionellen oder vorgegebenen Lebensweg einschlagen wollte. Und ich spürte jene Zerrissenheit, die Theo Fischer so ausdrückt: „Ein Leben, auf das die Adjektive natürlich und einfach zutreffen, scheint in dieser auf Wettbewerb ausgerichteten Gesellschaft nur um den Preis krassen Außenseitertums realisierbar zu sein. […] Als wir ins Leben hinaustraten, fanden wir uns in einer Welt wieder, deren Forderungen einer Einbahnstraße gleich in eine einzige Richtung wies: erfolgreich sein, reich sein, prominent sein und darüber hinaus schön, jung, fit und gesund.“

Diesem Dilemma versuchte ich zu entkommen, indem ich fast zwei Jahre durch Amerika reiste und auf biologischen Farmen lebte und mitarbeitete. Dann wurde mir klar, dass es in meinem Leben darum geht, zunächst einmal in mir zu pflügen, säen, düngen, bewässern und mit Geduld zu warten, was da hervorsprießen will.

Meine Pilgerschaft nach Asien

Meine große buddhistische Pilgerschaft begann, als ich mit 21 Jahren meine Heimat verließ, um ein Mönch in einem thailändischen Waldkloster zu werden. Eine Rückkehr war nicht geplant, dafür aber die etwas naive und unrealistische Vision der Erleuchtung. Nach einigen mühsamen Wochen mit Zügen und Bussen quer durch Asien durch weite Wüsten und exotische Kulturen war meine erste Zwischenstation Bodhgaya: Der Ort, an dem Siddhartha Gotama unter dem Bodhibaum scheinbar Nirvana erlangte.

Blinder Glaube

Zwar hatte ich mich damals sehr bemüht, diese vollkommene Hingabe und religiöse Leidenschaft zu spüren, wie ich sie bei anderen zutiefst gläubigen Wallfahrern beobachtete. Aber irgendwie war mir das Gewand des frommen Pilgers und später des perfekten Mönches zu eng und zu fremdartig gestrickt. Zwar hatte mich die Trance eines blinden Glaubens auch mich von Zeit zu Zeit erfasst; mein Hausverstand, meine Intuition und meine Skepsis holten mich jedoch immer auf den steinigen Boden der Realität zurück.

Wanderleben als Bettelmönch

Von dem heiligsten Ort der Buddhisten ging meine Reise weiter nach Thailand, wo ich zum Novizen und später zum Mönch eines Ordens der strengen und asketischen Waldtraditionen ordiniert wurde. Nach zwei Jahren unter der gefürchteten Obhut eines scheinbar erleuchteten Meisters, zog ich ent-täuscht und frustriert weiter. Das Schicksal bewirkte, dass ich einige Monate später barfuß, mit Bettelschale und wenigen Habseligkeiten in Sri Lanka landete. In den folgenden neun Jahren meines ungewöhnlich bewegten und freien Mönchslebens lebte ich in Klöstern, Meditations-Zentren, Wäldern, Hütten und Höhlen auf dieser vielfältigen Insel mit der ältesten gelebten buddhistischen Tradition.

Der heilige Berg Siri Pada

In dieser Zeit hatte ich einige Male die beeindruckende Gelegenheit, den bedeutendsten Pilgerberg von Sri Lanka zu besteigen. Die Buddhisten verehren den sogenannten „Adams Peak“, weil sich am Gipfel ein riesiger Fußabdruck befindet, den scheinbar der Buddha bei einem seiner wundersamen Besuche auf Sri Lanka hinterließ.

Reisen, um zu leben – leben, um zu reisen

Auch wenn meine Mönchsreise nach 12 Jahren zu Ende ging, blühte meine spirituelle und weltliche Abenteuerlust weiterhin. Und als nach einem Jahr eine wunderbare Lebens- und Reisebegleiterin dazukam, wurde mir deutlich: Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude. Von 2005 bis 2019 verbrachten Daniela und ich gemeinsam die wärmere Jahreszeit im hübschen und bekannten Salzkammergut; in der kälteren Jahreszeit reisten wir – wie die Zugvögel – jedes Jahr in die warmen Gefilde des exotischen fernen Ostens.

Der heilige Berg Arunachala

In dieser Zeit fühlte ich mich vom Leben und der Lehre von Sri Ramana Maharshi angezogen und verbrachte regelmäßig Zeit in seinem Kloster am Fuße des heiligen Berges Arunachala in Südindien. Seine Bedeutung übersteigt in Südindien sogar die des Kailash, denn er gilt als Manifestation des Gottes Shiva, während Shiva scheinbar am Kailash nur wohne.

Sri Ramana Maharshi pflegte zu sagen, dass die Kraft von Arunachala so ist, dass selbst wenn man Pradakshina (Umrunden eines Heiligtums) ohne Glauben tut, es immer noch seine Wirkung hat und den Geist sicher reinigen wird. „So wie Feuer alle verbrennt, die es berühren, ob sie daran glauben oder nicht, so wird der Hügel allen Gutes tun, die um den Arunachala-Hügel herumgehen.“

Überwintern auf Ibiza

Schon vor den verrückten und unmenschlichen Lockdown-Zeiten haben meine Frau und ich beschlossen, die Winter nicht mehr im fernen Osten zu verbringen, sondern auf Ibiza. Auch wenn diese mediterrane Insel im Sommer zurecht als unattraktiver Partyspot verschrien ist, hat sich dieses einstige Hippie-Paradies im Winter für uns als ein beschaulicher und stimmiger Rückzugsort herausgestellt.

Meine erste Inselumrundung

Am 1. Mai 2021 schrieb ich über meine erste Umrundung von Ibiza:
„Eine der größten körperlichen Herausforderungen meines Lebens:
Nach 11 Tagen, 250 Kilometer, 7000 Höhenmeter, 30 Stränden und im Rahmen von „Walking Ibiza – Around the Island“ bin ich gestern wieder in die verrückte und maskierte Zivilisation zurückgekehrt. Gerade unter den gegenwärtigen Umständen fühlt sich einiges sehr ungewöhnlich an und regt zum Nachdenken an:
Warum sind wir eigentlich auf diesem Planeten und wie verbringen wir hier unsere kostbare Zeit?
Soll es dabei in erster Linie um Sicherheit und Überleben gehen, oder vielleicht doch um Freiheit und Lebendigkeit?
Mehr denn je bin ich überzeugt, dass Natur eines der besten Heilmittel ist, um in Balance und in Kontakt mit uns und allen Lebewesen zu kommen. Und diese außergewöhnliche Wanderung entlang Ibizas Küste gab mir eine einzigartige Gelegenheit dazu.“

Durchwandern des Tramuntana-Gebirges

Im April 2022 durchwanderte ich mit zwei Freunden das Tramuntana-Gebirge von Mallorca. Nach der Umrundung von Ibiza war das mein zweites längeres Wanderabenteuer auf den Balearen. Was für ein Gefühl, sich 8 Tage lang über 140 Kilometer Fußwege und 6000 Höhenmeter von der Welt auszuklinken und durch Berge, Täler und entlang von Küsten zu wandern!

„Was für ein Erlebnis, in unberührter Natur wieder die eigene Geschwindigkeit und den eigenen Raum zu finden; an Olivenbäumen vorbeizukommen, die seit hunderten Jahren Wanderer vorbeigehen sehen, Schafen und Ziegen zu begegnen, die zeitlos nur auf das Heute bedacht sind, unter kreisenden Geiern Höhen zu erklimmen, die nicht für Menschen gedacht sind, der Brandung des Meeres zu lauschen, die seit ewigen Zeiten an der Insel nagt, sich widerstandslos auf Wind, Regen, Kälte und Hagel einzulassen, Steinwege zu betreten, die seit hunderten von Jahren von Hirten, Jägern, Bauern, Schneesammlern, Köhlern, Händlern, Schmugglern und Piraten begangen wurden. Und dabei mit jedem Schritt und Atemzug Zeit zu haben, um die Gedanken frei laufen zu lassen und nachzudenken: Über Nichts und Alles, über Gott und die Welt, über Gestern und Morgen, über Leben und Tod. Dabei bin ich mir wieder bewusst geworden, dass für mich Freiheit das größte Geschenk im Leben ist!

Eine zusätzliche Bereicherung beim gemeinsamen Wandern ist: Man(n) kann gemeinsam Erlebnisse und Lebensthemen kontemplieren: Jeden Morgen setzten wir drei Männer einen gedanklichen Schwerpunkt, über den wir beim schweigenden Gehen reflektierten und uns darüber am Abend austauschten:
• Was bedeutet mir Gemeinschaft?
• Wie will ich mein restliches Leben leben?
• Wie gehe ich mit Widerstand und Ohnmacht um?
• Was bedeutet mir Natur?
Durch diese kontemplative Note kann jede Wanderung zu einer Entdeckungsreise zu sich selbst und zum Leben werden.“

>> Meine Tagebuchaufzeichnung am Franziskusweg nach Assisi