Sonntag, 11 Februar 2018 07:19

Ayurveda und richtiges Timing

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VG sunriseNach Ayurveda ist nicht nur Lebensstil & Ernährung (Vihara & Ahara) sondern auch das richtige und falsche Timing ausschlaggebend für unsere Gesundheit oder Krankheit. Für mich ist dieses Thema tagtäglich ein Experimentierfeld, ohne dass ich den Anspruch habe, in allen Lebensbereichen die perfekte Balance gefunden zu haben. Ein paar ayurvedische Grundlagen sind dabei für mich eine Inspirationsquelle immer wieder genau hinzuspüren, was sich tatsächlich stimmig und was sich unstimmig anfühlt.

Ayurveda und die Kunst des richtigen Zeitpunkts

Der passende Tagesrhythmus als Schlüsselfunktion unserer Gesundheit ist mittlerweile auch in der westlichen Medizin angekommen, wie uns die Verleihung des Nobelpreises für Medizin im letzten Jahr bestätigt hat. Im Ayurveda wurde schon vor tausenden Jahren gesagt, dass auch eine an sich gesunde Nahrung oder körperliche Tätigkeit zu einem falschen Zeitpunkt eine krankmachende Wirkung haben kann. So wäre früher kein Yogi oder bewusst lebender Mensch auf die Idee gekommen, sich abends einen anstrengenden Workout oder eine große Mahlzeit „zu geben“.

Gefahren eines unnatürlichen Zeitrhythmus

John Douillard schreibt in dem Artikel „Ayurvedic Daily Routine (Dinacharya)“: „Chronodisruption wird mit einer Menge von Krankheiten in Verbindung gebracht, wie mangelhafte Sinneswahrnehmung, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Diabetes, Fettleibigkeit, Erschöpfung, Drogenmissbrauch, Herzkrankheiten und einige Formen von Krebs.“

Ayurveda erklärt einen stimmigen Tageszyklus mit Hilfe der Dosha-Uhr wie folgt.

Kapha-Zeit: 6 – 10 Uhr / 18 – 22 Uhr

Am Morgen ist das die beste Zeit, um körperliche Übungen (wie Yoga, Joggen, etc) zu machen, da es ideal die Trägheit im System ausgleicht und der Körper am kräftigsten ist. Am Abend ist es ideal noch in dieser Zeitspanne zu Bett zu gehen, weil eine natürliche Müdigkeit das Einschlafen begünstigt. Da in dieser (und in der Vata-) Zeit, das Agni (Verdauungsfeuer) noch nicht / nicht mehr sehr stark ist, sollte man in der Früh und am Abend auf große und schwere Mahlzeiten verzichten.

Der richtige Zeitpunkt für eine Tasse Kaffee

Wenn man schon nicht auf Kaffee verzichten kann oder will, dann sollte man zumindest auf den richtigen Zeitpunkt und die Menge achten : ). In einem Interview gibt der ayurvedische Arzt Dr. Suhas Kshirsagar (Autor des Buches „Change Your Schedule, Change Your Life“) eine gute Erklärung ab, warum es Sinn macht Kaffee nur in der morgendlichen Kapha-Zeit in Maßen zu trinken: Die astringierende, bittere und stimulierende Wirkung von Koffein kann um diese Zeit das natürlich vorhandene Kapha gut ausgleichen (außer es herrscht eine Vata- oder Pitta-Störung vor, z.B. in Form von Unruhe oder Magenübersäuerung).

Erdung und Agni als wichtige Gesundheitsfaktoren

In dem genialen Artikel „Eating Ayurveda“ sagt der Yogalehrer und Ayurveda-Fachmann Marc Holzman: „Ich sehe viele Schüler und Patienten mit Apana-Vayu-Krankheiten: Unfruchtbarkeit, Menstruationsbeschwerden, Verstopfung, Durchfall, Blaseninfektion, etc. Für mich liegt der Grund darin, dass wir, in unserer Gesellschaft große Probleme haben, die schwere Erd-Qualität von Kapha oder uns erdende Energien zu finden; denn wir leben in so einem high-tech,  twendty-four-seven Informations-Zeitalter.“ (…. was eben das Vata / Wind-Energie im Körper und Geist extrem erhöht!)

Und im Zusammenhang des Verdauungsfeuers sagt er außerdem: „Ayurveda hat einen großartige Leidenschaft für die Verdauung. Neben all den anderen Punkten, wird dabei immer zum Darm zurückgegangen, um herauszufinden, was hier falsch läuft. Dein Immunsystem ist dort und deine Krankheiten beginnen dort. Wenn dieses System außer Balance ist und nicht richtig arbeitet, dann kann nichts funktionieren.

Pitta-Zeit: 10 – 14 Uhr / 22 – 2 Uhr

Das kleine Feuer der Verdauung steht mit dem großen Feuer der Sonne im engsten Zusammenhang. Deswegen sollte die größte Mahlzeit des Tages in diesem Zeitraum verzehrt werden (wie es unsere Vorfahren schon immer gemacht haben). Interessanterweise ist unsere Verdauung im Winter (wenn die Sonne schwach ist) stärker, und im Sommer schwächer. Wenn wir nach 22 Uhr zu Bett gehen (was wohl kein vernünftiger Mensch gemacht hat, als es noch keine Elektrizität gab  - außer er wollte Sterne beobachten : ), dann werden unsere Lebensgeister wieder wach. Außerdem wird sich ein nächtliches Hungergefühl melden, denn wir sind in die Pitta-Zeit hineingerutscht, die eigentlich für die nächtliche Verdauung im Schlaf verantwortlich ist; uns jetzt aber den Weg zum Kühlschrank weist. In der Nacht finden in dieser Phase viele unbewusste Tätigkeiten im Körper und Geist statt, die für eine psychosomatische Entgiftung und Regeneration verantwortlich sind.

Vata-Zeit: 2 – 6 Uhr / 14 – 18 Uhr

Es macht Sinn, noch in dieser Vata-Phase (am besten ohne Wecker) sich von der Nachtruhe zu erheben, bevor Körper und Geist in Trägheitsphase von Kapha wieder versinkt. (siehe mein Blogbeitrag über Brahmamuhurta). Ist das Mittagessen gut verdaut, steht einer kreativen und aktiven Phase (= Vata) nichts im Weg. Doch man sollte zum richtigen Zeitpunkt Schluss machen, damit der Geist sich ab 18 Uhr durch Entschleunigung und Entspannung gut auf die Nachtruhe vorbereiten kann.

3 Ayuvedische Jahreszeiten

Auch die Jahreszeiten werden in drei Zonen aufgegliedert. Wenn man in Mitteleuropa lebt, bedeutet das:
die Kapha-Zeit beginnt Ende Februar und reicht bis in den Mai;
die Pitta-Zeit umfasst die Zeit von Juni bis September;
die Vata-Zeit geht von Oktober bis Januar.

3 Lebensphasen

Zusätzlich werden im Ayurveda die drei großen Lebensphasen ebenfalls den Doshas zugeordnet, die jeder Mensch - unabhängig seiner Konstitution - durchläuft und die seine Entwicklung und Krankheitsneigung prägen:
Kapha-Dominanz (Geburt bis zur Pubertät): In dieser Phase ist ausreichend Schlaf extrem wichtig; aber ein Kind soll sich auch viel bewegen, um die Kapha-Tendenz auszugleichen.
Pitta-Dominanz (Pubertät bis ca. 50. Lebensjahr): In der Lebensmitte sollten man seine Fähigkeiten und sein Dharma zur vollen Blüte bringen. Dennoch sollte man darauf achten, dass dies nicht auf Kosten der eigenen Gesundheit und inneren Balance geht oder man gar in eine Lebenskrise oder ein Burnout rutscht.
Vata-Dominanz (ab dem 50. Lebensjahr bis zum Tod): Gegen den Lebensabend hin sollte die Beschränktheit von weltlichen Zielen erkannt werden und spirituelle Werte dem Leben einen tieferen Sinn geben. Außerdem sollte der naturgegebene Vata-Überschuss mit entsprechender Entspannung und Muse ausgeglichen werden.

Dinachariya: Gesundheitsfördernde Tagesroutine

Hier ein paar Hinweise, was aus ayurvedischer Perspektive jeden Morgen empfohlen wird (über die Reihenfolge und Länge lässt sich natürlich streiten):
Stuhlgang, Zungenschaben, Ölziehen, Zähneputzen, Nasenspülung oder Nasenöl, Meditation, Körper- und Atemübungen, Augenübungen, Augen-Sonnenbad (falls die morgendliche Sonne ihr heilendes Licht erstrahlen lässt), 1 – 2 x in der Woche: Selbstmassage mit Sesamöl (Abhyanga).  
Mehr dazu unter: „Ayurvedic Daily Routine“, „Dinachariya“ und „Ayurveda – Tagesroutine


Zum Foto: Sonnenaufgang im "Vaidiyagrama Ayurvedic Healing Village", eine nach ganzheitlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Ayurveda-Klinik, die ich seit 2012 regelmäßig besuche. Neben traditionellen ayurvedische Behanldungsmethoden sind dort auch folgende Aspekte und Projekte inkludiert: Gebäude nach Vastu-Prinzipien, Nachhaltigkeit, soziale Projekte, ein Kinderheim und eine spezielle "Community für Aussteiger & Pensionisten" mit dem Motto: "Live simple, well, healthy & happy"

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